Genesio Santin – ein Widerstandskämpfer aus Italien (15.08.1909 – 11.12.1944)

Heute erinnern wir an den Häftling Genesio Santin, geboren am 15.08.1909 in Sacile in Norditalien. Er war inhaftiert im KZ Ladelund und starb in Ladelund am 11.12.1944.

Erst im Frühjahr des Jahres 2024 wurde in Sacile (einer kleinen Stadt in Norditalien, die wegen ihrer vielen Kanäle oft als Garten Venedigs bezeichnet wird) ein Stolperstein zu Ehren von Genesio Santin verlegt. Schüler aus Sacile haben die Geschichte Santins recherchiert und zusammen mit der politischen Gemeinde die Verlegung des Stolpersteins angeregt. Über ein Bild der Aktion sind wir bei unseren Recherchen auf die Geschichte Santins gestoßen.

Über die Jugend Santins wissen wir nichts. Es ist nur bekannt, dass er verheiratet und katholisch war. Er hat als Bauer gearbeitet. In die italienische Armee wurde er nicht eingezogen. Nachdem der Norden Italiens ab dem Herbst 1943 von deutschen Truppen besetzt wurde, beteiligte sich Genesio Santin an Aktionen des Widerstands gegen die deutsche Besatzung. Bei einer Razzia in Sacile im August 1944 wurde auch Genesio Santin verhaftet. Nach seiner Verhaftung verbrachte er ab Anfang Oktober 1944 einige Wochen im KZ Dachau, bevor er über das KZ Neuengamme weiter nach Ladelund deportiert wurde.

Genesio Santin starb am 11. Dezember 1944 im KZ Ladelund kurz vor der Auflösung des Lagers und wurde in Grab Nr. 9 bestattet.

Abraham (Bram) Duits – der einzige jüdische Tote des KZ Ladelund (01.02.1909 – 16.11.1944)

Heute geht es um Abraham (Bram) Duits, geboren am 01.02.1909 in Dordrecht in den Niederlanden. Er starb am 16.11.1944 in Ladelund.

Abraham Duits

Gerade junge Menschen fragen bei einem Besuch der Gedenkstätte oft nach dem Ort der Krematorien und gehen ganz allgemein davon aus, dass im KZ Ladelund hauptsächlich Juden inhaftiert worden waren. Das zeigt, dass die Berichte und Bilder über die großen Konzentrations- und Vernichtungslager wie Auschwitz, Bergen-Belsen oder Buchenwald das allgemein vorhandene Wissen prägen und dass dieses Wissen auch auf das KZ Ladelund übertragen wird.

Dabei ist Bram Duits der einzige Jude, von dem wir wissen, dass er im KZ Ladelund eingesperrt war und der hier gestorben ist. Er wurde von Pastor Meyer im Grab Nr. 5 begraben.

Abraham Duits mit Ehefrau

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs lebte die Familie Duits – Abraham hatte 1935 geheiratet und war kurz darauf Vater geworden –  in Amersfoort. Er arbeitete im Unternehmen seines Vaters, das Werbematerialien und Kalender produzierte und vertrieb. Seit Frühsommer 1942 versteckte sich Abraham Duits in Amsterdam unter falschem Namen, um der bevorstehenden Deportation zu entgehen. Seinen Sohn hatte er zu Freunden gebracht. Seine Frau hatte versucht, in die Schweiz zu fliehen, war aber aufgegriffen und inhaftiert worden.

Stolperstein Abraham Duits in Amersfoort

Am 16. September 1944 verhafteten die deutschen Besatzer Abraham Duits während einer Razzia in Amsterdam. Er wurde zunächst unter einem falschen Namen, der ihn nicht sofort als Jude kenntlich machte, über das Lager Amersfoort nach Neuengamme und weiter nach Ladelund verschleppt.
Seine Frau und sein Sohn überlebten die nationalsozialistische Verfolgung. Samuel Duits besuchte das Grab seines Vaters und die Gedenkstätte in Ladelund im November 1997.

James Joseph Augustin, genannt Jacques Venture (17.06.1921 – 01.04.2015)

Heute geht es um Jacques Venture, geboren am 17.06.1921 in Molinghem in der Nähe von Pas-de-Calais. Er starb am 01.04.2015 in Mons-en-Baroeul bei Lille in Frankreich.

Als der Name James Venture in einem Dokument mit der Verbindung nach Ladelund auftauchte, war ich zunächst erfreut über einen völlig neuen Namen, den wir bisher noch gar nicht kannten. Aufgrund des Vornamens „James“ dachte ich sogar erst, ich könnte damit belegen, dass auch Häftlinge aus Großbritannien im KZ Ladelund gewesen waren (das wäre eine echte Sensation gewesen). Bei genaueren Recherchen stellte sich jedoch heraus, James wurde Jacques genannt und war Belgier. Er kam also aus einem Land, aus dem bereits andere Häftlinge des KZ Ladelund bekannt sind.

Neu ist der Name für uns dennoch und Jacques Venture zählt zu den wenigen bekannten Überlebenden des KZ Ladelund. Und wir haben sogar ein Bild von ihm, dass ihn lange nach den Ereignissen in Ladelund zeigt.

Dass seine Leidenszeit im KZ Ladelund und überhaupt der Zweite Weltkrieg ihn nicht losgelassen haben, zeigt seine gesamte Lebensgeschichte.

Jacques Venture arbeitete als Polizist in Lille. Er war Teil des französischen Widerstands. Die Gestapo verhaftete ihn im Juli 1944. Im letzten Deportationszug aus Frankreich (dem „Train de Loos“ aus dem Loos-Gefängnis bei Lille) gelangte er über die Konzentrationslager Sachsenhausen, Neuengamme und Ladelund im Frühjahr 1945 nach Wöbbelin, wo er am 2. Mai 1945 von den Alliierten befreit wurde.

Bei seiner Befreiung wog er nur noch 37 Kg und brauchte lange für seine Genesung. In den Jahren danach übernahm er den Vorsitz einer Organisation, die sich intensiv für die wenigen Überlebenden des letzten Deportationszuges aus Frankreich einsetzte und an dieses Kapitel der Besatzungsgeschichte  erinnerte.

Katja Happe

Józef Jurowicz (25.12.1891 – 06.11.1944)

Heute geht es um Józef Jurowicz, ein Pole deportiert aus Frankreich, geboren am 25.12.1891 in Przechodi, Kreis Białystok. Er starb am 06.11.1944 im KZ Ladelund.

Er kam weder aus  Russland, wie es auf der Bronzetafel an den Gräbern steht, noch kam er aus „Pechechodi“ oder aus „Techechodi“, wie verschiedene NS-Schreiber seinen Geburtsort verstanden und festgehalten haben (und auch nicht aus einem der anderen fünf Przechodys in Polen, Weißrussland oder der Ukraine) und er hieß weder „Jurowritsch“ (Gedenktafel) noch „Jurowitsch“ (auf einer Transportliste) noch „Jurowi(tsch)cz“ (im Ladelunder Beerdigungsregister) oder gar „Jurowico“ (in einer Online-Datenbank) oder „Jurowice“ (Zugangsbuch KZ Dachau).

Wir haben von ihm leider kein Foto – er war ledig und ohne Kinder; es gab nie einen Kontakt zu Mitgliedern seiner Familie.

Was wir von ihm haben, ist eine Unterschrift, die er im KZ Natzweiler-Struthof auf seinem Effektenverzeichnis geleistet hat. (s. Abbildung) Dort steht: Er hatte am 18.08.1944 Folgendes bei sich: 1 Mütze, 1 Paar Schuhe, 1 Paar Strümpfe, 1 Rock, 1 Weste, 2 Hemden, 1 Arbeitsanzug, 1 Handtuch, 1 Taschentuch, div. Papiere.

Wer Józef Jurowicz war können wir daraus nicht ablesen; was ich tun konnte, war herauszufinden, wo er gewesen ist. Das habe ich einige Tage lang versucht. Durch unleserliche Handschriften, Verwechslungen (viele Menschen aus Polen heißen Józef … oder Józefa), deutsche Umschriften oder Lautschriften und variierende Häftlingsnummern habe ich Józef Jurowiczes Weg zurück verfolgt. Die Stationen: KZ Ladelund – KZ Neuengamme – KZ Natzweiler-Struthof – KZ Dachau – Lyon, Frankreich. Frankreich?

Wie kam der polnische Gärtner Józef Jurowicz mit über 600 anderen Menschen in einen Transport, den Konvoi 78, der am 11.08.44 das Gefängnis Fort de Montluc, Lyon, verließ?

Ich finde heraus, dass dieser Konvoi einer der letzten war, die das Gefängnis vor der Befreiung am 24.08.44 verlassen haben. Ungefähr 200-300 nichtjüdische Männer, darunter Józef Jurowicz, wurden am Bahnhof Rothau, ca. 8 km entfernt vom KZ Natzweiler, abgesetzt. Die jüdischen Deportierten wurden nach Auschwitz umgeleitet.

Warum oder wie lange Józef Jurowicz im Gefängnis war, wissen wir nicht. Die Gefängnisbücher sind nicht erhalten. Es gab einen polnischen Widerstand in Lyon, der zerschlagen wurde. Gehörte Józef Jurowicz dazu? Vielleicht. Oder vielleicht war sein „Verbrechen“ bloß zur falschen Zeit am falschen Ort Pole zu sein. Wie er nach Frankreich kam, wissen wir nicht. Worte wie „Deportation“ und „Zwangsarbeit“ kommen mir in den Sinn, aber in Lyon verläuft sich die Aktenspur von Józef Jurowicz, sodass es bis auf Weiteres bei Vermutungen bleiben muss.

J. Rühe,

Praktikantin in der KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund

Franz Klauser (11.03.1907-06.11.1944)

Die Biografie von Franz Klauser weist einige Besonderheiten für die in Ladelund ermordeten Männer auf. Seine Lebensgeschichte ist relativ gut erforscht; der Hamburger Rainer Hoffschildt hat sich intensiv mit der Biografie beschäftigt und seine Erkenntnisse veröffentlicht. Daneben ist Franz Klauser einer der wenigen Toten des KZ Ladelund, von denen wir wissen, dass sie aufgrund des Vorwurfs der Homosexualität in die Mühlen der NS-Justiz und des nationalsozialistischen KZ-Systems gerieten und in Ladelund ermordet wurden. Neben Franz Klauser ist nur von einem weiteren Häftling ebenfalls bekannt, dass er aufgrund seiner sexuellen Orientierung verhaftet wurde.

Franz Klauser

Der am 11. März 1907 im nördlichen Schwarzwald geborene Franz Klauser arbeitete in verschiedenen Berufen. Er war unter anderem Krankenpfleger, die meisten überlieferten Bilder zeigen ihn jedoch als Hausdiener eines Hotels. Dort war er zuständig für die Vorbereitung von Veranstaltungen und kleinere Arbeiten jeglicher Art für das Haus und die Gäste. Bilder zeigen ihn in einer Hotel-Uniform oder auch im Kreise von Kolleginnen im Garten des Hotels.

Im Jahr 1942 begann Franz Klausers Odyssee durch das nationalsozialistische Justizsystem. Er wurde wegen Verstoßes gegen den § 175, der Homosexualität unter Strafe stellte, verhaftet und am 7. Januar 1942 in das Gerichtsgefängnis Überlingen eingeliefert. Kurze Zeit später verurteilte ihn das Gericht zu einer Haft von 2 Jahren und 3 Monaten. Statt nach der Verbüßung seiner Haftstrafe freizukommen, wurde er unmittelbar in das KZ Natzweiler eingewiesen. Seine Familie wartete vergebens auf seine Rückkehr. Aus dem KZ Natzweiler wurde er in das KZ Dachau und in das KZ Neuengamme deportiert. Von dort führte ihn sein Leidensweg Anfang November in das KZ Ladelund. Hier starb er am 6. November 1944. Ein Stolperstein in Überlingen erinnert an ihn.

Wassilij Chramow (03.5.1917-11.11.1944)

Der Krieg in der Ukraine ist derzeit immer Thema in den Nachrichten.

In Schytomyr wurde vor mehr als hundert Jahren, am 3. Mai 1917, Wassilij Chramow geboren. Nach einer langen Odyssee durch verschiedene Konzentrationslager im Jahr 1944 starb er am 11. November 1944 in Ladelund und wurde in Grab Nr. 3 begraben.

Viel wissen wir nicht über Wassilij Chramow. Leider haben wir auch kein Bild. Wir wissen, dass Wassilij Chramow Koch war. Die deutsche Sicherheitspolizei in Bialystok wies ihn im April 1944 in das KZ Stutthof ein, vermutlich weil er sich der Zwangsarbeit entzogen hatte. Vom KZ Stutthof in der Nähe von Danzig begann seine Odyssee durch verschiedene Konzentrationslager. Jeweils nur wenige Wochen oder Monate war er nach Stutthof im KZ Natzweiler, dem KZ Dachau und dem KZ Neuengamme. Von Neuengamme wurde er Anfang November 1944 in das KZ Ladelund deportiert; hier starb er keine zwei Wochen später. Als Todesursache wird in den Dokumenten „Selbstmord durch Erhängen“ genannt. Statt der immer wiederkehrenden Todesursache „Dysenterie“ (auch „Ruhr“ genannt), die bei den meisten Häftlingen eingetragen wurde und auf eine Durchfallerkrankung und Entkräftung durch die erlittenen Entbehrungen, die schlechte Versorgung und die schwere Arbeit beim Ausheben des Panzerabwehrgrabens hinweist, hat Wassilij Chramow sich anscheinend dazu entschieden, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen. Vermutlich, weil er völlig entkräftet war und keinen anderen Ausweg aus der Situation mehr sah.

Nach fast einem Jahr Kriegsdauer sind auf beiden Seiten des aktuellen Konflikts in der Ukraine schon zehntausende von Menschen gestorben. Das dadurch hervorgerufene Leid wird am Ende des Krieges nicht aufhören. Ganze Generationen werden in der Ukraine mit den Geschehnissen und der Traumatisierung durch den russischen Angriff leben müssen. Irgendwann wird es auch in der Ukraine Gedenkstätten geben, die an die Opfer dieses Krieges erinnern.
In Ladelund haben wir in Erfahrung gebracht, dass es beharrlicher Arbeit und viel emotionaler Zuwendung bedarf, um den Angehörigen der Opfer ein würdevolles Gedenken zu ermöglichen und eine angemessene Erinnerung für junge Generationen zu bewahren.

Der russische Angriffskrieg war und ist nicht zu rechtfertigen. Daran mahnt uns das Grab von Wassilij Chramow in Ladelund.

Bortolo Martino (genannt Lino) Gatti (6.7.1911-19.11.1944)

Lino Gatti als Carabinieri

Nachruf auf Lino Gatti

36 Männer aus Italien sind im KZ Ladelund ermordet und auf dem Friedhof an der Ladelunder Kirche St. Petri begraben worden. Neben den Niederländern bilden die Italiener die zweitgrößte Opfergruppe in Ladelund. Viele der Männer stammten aus der Region um Nimis, einem Ort im Osten Italiens nahe der Grenze zu Slowenien. Zu ihnen gehörte Lino Gatti nicht.

Als jüngstes von fünf Kindern wurde Lino, wie die Familie ihn nannte, in Iseo, in der Nähe von Bergamo geboren. Die Familie zog später nach Turin um und Lino Gatti wurde Militärpolizist. Er kämpfte mit der italienischen Armee in Äthiopien und Libyen. Nach einer Verwundung gelangte er erst nach Neapel und dann nach Triest. Dort heiratete er. Vermutlich im Herbst des Jahres 1944 wurde Lino Gatti verhaftet. Die Umstände seiner Festnahme sind unbekannt, ebenso der Ort seiner Verhaftung. Fest steht, das seine Odyssee durch die verschiedenen Konzentrationslager im Oktober 1944 begann, die ihn am Ende nach Ladelund führte. Zunächst wurde er im KZ Dachau inhaftiert, von dort wurde er am 23. Oktober in das KZ Neuengamme deportiert. Wann genau er von dort in das KZ Ladelund verlegt wurde, ist ebenfalls nicht bekannt. Im KZ Ladelund starb er am 19. November 1944 und wurde in Grab Nr. 6 beerdigt.

Seine Familie blieb lange im Ungewissen über sein Schicksal. Erst im Mai 1946 erreichte ein Brief von Pastor Meyer die Familie, der sie über den Tod Lino Gattis informierte. Meyer schrieb seinen Brief auf Italienisch. Wie es dazu kam, ist leider nicht bekannt.

Brief J. Meyer an Fr. Gatti in 05.1946

Mit dem Neffen von Lino Gatti, Massimo Grassi, hat die Gedenkstätte seit einigen Jahren Kontakt. Er teilte im letzten Jahr mit, dass seinem Onkel Bortolo Gatti posthum vom Präsidenten der Italienischen Republik eine Ehrenmedaille verliehen wurde.

Wichert Bakker (27.11.1913-14.11.1944)


Wichert Bakker

Im Juni 2022 waren wieder einmal Angehörige der im KZ Ladelund Ermordeten zu Besuch in der Gedenkstätte. Zum ersten Mal besuchte das Ehepaar Mons Ladelund und Henry Mons konnte das Grab seines Onkels Wichert Bakker sehen. Es ist immer wieder ein bewegender Moment, Angehörige bei ihrem ersten Besuch an den Gräbern zu begleiten.

Auch in der Ausstellung begegnen Besucher*innen der Lebensgeschichte und vor allem dem Weg von Wichert Bakker nach Ladelund. Nach seiner Verhaftung bei der Razzia in Putten wurde Wichert Bakker zusammen mit den anderen Männern aus Putten über das Lager Amersfoort in den Niederlanden nach Neuengamme deportiert. Auf der Zugfahrt von Amersfoort nach Neuengamme gelang es Wichert Bakker, einen Brief aus einer Öffnung des Zuges zu werfen. Der Brief wurde von einer Passantin gefunden, die ihn den Angehörigen von Wichert Bakker in Putten überbrachte.

Der Brief ist kaum lesbar, schnell hingekritzelt auf der Rückseite einer Rechnung eines Großhändlers, der den Kolonialwarenladen Bakkers in Putten beliefert hatte. Als Faksimile ist der Brief heute in der Ausstellung zu sehen.

Brief von Wichert Bakker

In dem Brief an seine Frau und die vier Kinder verabschiedet Wichert Bakker sich. Seine Sorge gilt dem Wohlergehen der Familie. Er teilt seiner Frau mit, welche Rechnungen noch zu bezahlen sind, und von wem noch Zahlungen erwartet werden. Der Brief zeigt, dass die verhafteten Männer in Putten mitten aus ihrem normalen Leben gerissen wurden. Weder wussten sie, wohin sie transportiert wurden, noch hatten sie eine Möglichkeit, für die zurückbleibenden Frauen und Kinder zu sorgen. Dennoch versucht Wichert Bakker in seinen Abschiedszeilen Optimismus zu verbreiten. Er schließt mit Grüßen an seine Frau und die Kinder und mit einem „Bis bald“.

Dazu sollte es jedoch nicht kommen. Nach der Ankunft im KZ Ladelund Anfang November 1944 starb Wichert Bakker nach zwei Wochen aufgrund der schweren Arbeit und schlechten Ernährung. Er wurde zusammen mit anderen im KZ Ladelund ermordeten Männern am 14. November 1944 in Grab Nr. 4 neben der Kirche St. Petri beigesetzt.

Wouter Rozendaal (16.2.1905-20.2.1992)

Schon an den Lebensdaten können Sie sehen, dass Wouter Rozendaal einer der Überlebenden des KZ Ladelund gewesen ist. Er stammte wie viele der anderen Häftlinge im KZ Ladelund aus dem niederländischen Ort Putten.

Wouter Rozendaal
Die Familie Rozendaal während der Besatzungszeit

Wie die anderen Häftlinge aus Putten, wurde er nach dem Anschlag vom 1. auf den 2. Oktober 1944 verhaftet und nach einem Zwischenstopp im polizeilichen Durchgangslager Amersfoort in das KZ Neuengamme deportiert. Dort kam er am 14. Oktober 1944 an. Wenige Tage später führte sein Leidensweg ihn weiter in das KZ Husum-Schwesing und am 1. November 1944 schließlich in das KZ Ladelund.
Im KZ Ladelund blieb Wouter Rozendaal bis zum Ende des Bestehens des Lagers Mitte Dezember 1944. Durch die Arbeit entzündete sich Anfang November 1944 sein Fuß , so dass er nicht mehr weiter am Bau des Panzerabwehrgrabens arbeiten konnte. Er erreichte seine Einweisung in die Krankenbaracke des Lagers und blieb dort bis zur Auflösung des Lagers am 16. Dezember 1944. Möglicherweise rettete ihm das sein Leben.
Mit der Auflösung des Lagers wurde Wouter Rozendaal zurück in das KZ Neuengamme geschickt. Seine Leidenszeit war damit noch nicht zu Ende. Am 29. März 1945 – er war mittlerweile völlig geschwächt – kam er in das Außenlager Salzgitter-Watenstedt und am 14. April 1945 in das KZ Ravensbrück. Während des Evakuierungsmarsches des Lagers konnte er am 1. Mai 1945 bei Malchow fliehen. Er schlug sich auf abenteuerlichen Wegen alleine nach Hause in die Niederlande durch. Dort kam er am 5. Juni 1945 an.

Noch im Sommer 1945 zeichnete er seine Odyssee durch die verschiedenen Konzentrationslager auf. Sein Erinnerungsbericht „Aus tiefer Not“ ist eine der wichtigsten Quellen zum KZ Ladelund. Er beschreibt darin den Tagesablauf im Lager, seine Erfahrungen der KZ-Haft und die gemeinsamen Anstrengungen zum Überleben. Er berichtet von den Entbehrungen, dem ständigen Hunger und der unmenschlichen Behandlung. Zum KZ Ladelund schreibt er: „So schlecht, wie wir es dort hatten, hatten wir es in keinem einzigen Lager gehabt.“

Bericht von Wouter Rozendaal „Aus tiefer Not“

In Putten kehrte er zurück zu seiner Frau Hendrikje und den acht gemeinsamen Kindern. Soweit er dies konnte, informierte er die Familien der anderen Männer, die nach der Razzia in Putten verhaftet worden waren, über das Schicksal ihrer Familienangehörigen. 1979 besuchte er zum ersten Mal nach Kriegsende Ladelund, die Kirche und die Gräber der im KZ gestorbenen Männer. Er starb im hohen Alter von 87 Jahren im Februar 1992.

Wouter Rozendaal in hohem Alter

Boleslaw Kawka (19.8.1919-14.11.1944)

Boleslaw Kawka ist einer der Häftlinge aus dem Osten Europas, über den relativ viel bekannt ist. Dies liegt auch daran, dass Oliver Schultz, der Mitte der 1990er Jahre seinen Zivildienst in der KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund ableistete, im Jahr 1996 zusammen mit sechs Jugendlichen aus Ladelund und Umgebung eine Reise nach Polen unternahm. Dort versuchte die Gruppe Angehörige von Männern aufzuspüren, die in Ladelund ermordet worden waren. In Wronki , einer kleinen Stadt nordwestlich von Posen traf die Gruppe die Schwester und den Freund von Boleslaw Kawka.

Jugendliche aus Ladelund und Umgebung in Wronki, 1992

Boleslaw Kawka wurde 1919 in Nowa Wieś geboren und wuchs im nahegelegenen Ort Wronki auf, in dem seine Familie wohnte.

Gehöft der Familie Kawka

Schon gleich nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen wurden polnische Kriegsgefangene zur Zwangsarbeit in Deutschland gezwungen, um den in Deutschland herrschenden Arbeitskräftemangel auszugleichen. Ab März 1940 wurden immer mehr polnische Männer ebenfalls zur Zwangsarbeit in Deutschland verpflichtet. Auch Boleslaw Kawka und sein Freund Ludwik Biniek mussten zusammen mit anderen jungen Männern aus Wronki im Juni 1940 ihre Heimat verlassen. Sie gelangten auf das bei Berlin gelegene Gut von Alfred Egon Gustav von Bake, auf dem sie in der Landwirtschaft arbeiten mussten. Der Gruppe der Zwangsarbeiter auf dem Hof in Pessin ging es vergleichsweise gut.

Gruppe polnischer Zwangsarbeiter in Pessin (B. Kawka ganz links)

Sie konnten Briefe und Pakete mit Nahrungsmitteln von Zuhause empfangen und die Arbeit auf dem Hof war erträglich. Als sowjetische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter auf das Gut von Alfred Egon Gustav von Bake kamen, musste Boleslaw Kawka seine Arbeitsstelle wechseln. Auf der neuen Arbeitsstelle verschwand eines Tages eine Pute und Boleslaw Kawka wurde beschuldigt, sie gestohlen zu haben. Aufgrund dieser Anschuldigung wurde er verhaftet. Im Jahr 1944 gelangte er über das KZ Neuengamme in das Lager Ladelund, wo er am 14.11.1944 starb.