Heute möchte ich Ihnen Viktor Brunclair (18.10.1899 – 21.11 .1944) vorstellen.
Viktor Brunclair ist einer der fünf Männer aus Belgien, die im KZ Ladelund ums Leben kamen, und er ist einer der wenigen (wenn nicht sogar der Einzige), über den es einen eigenen Wikipedia-Eintrag gibt:
https://nl.wikipedia.org/wiki/Victor_Brunclair
Sogar eine Biografie über ihn mit mehreren hundert Seiten steht in unserer Bibliothek (Dieter Vandenbroucke: Dansen op een vulkaan, Antwerpen 2013) – er war in den 1920er und 1930er Jahren in Belgien ein bekannter Schriftsteller, von dem mehr als 40 Veröffentlichungen existieren. Zudem war er politisch aktiv in der flämischen Bewegung. Dass er trotzdem als KZ-Häftling nach Ladelund kam und hier starb, ist bei näherer Betrachtung zunächst verwunderlich, weil er politisch in einem nationalistisch geprägten Umfeld aktiv war. Gleichzeitig zeigt seine Lebensgeschichte, wie schnell ein Mensch aus geordneten und durchaus gut situierten Verhältnissen in der Zeit der nationalsozialistischen Besetzung Belgiens in den Fokus der Besatzer geraten konnte und als politischer Gegner des Systems eingestuft wurde.
Doch zunächst zurück zum Lebensanfang und der Jugend Viktor Brunclairs. 1899 geboren als uneheliches Kind, dessen Vater unbekannt blieb, starb seine Mutter nur sechs Monate nach der Geburt des Jungen. Viktor Brunclair wuchs daraufhin bei seiner Großmutter mütterlicherseits in Antwerpen auf.
Großmutter und Enkel lebten in angespannten finanziellen Verhältnissen, was auch dazu führte, dass Viktor Brunclair keine weiterführende Schule besuchen konnte. Seine späteren Erfolge als Schriftsteller sind auf intensive autodidaktische Weiterbildung zurückzuführen. Seit 1915 veröffentlichte er kleinere Texte, meist im flämischen Milieu, zudem arbeitete er als Redakteur der flämischen Zeitschrift Vlaamse Arbeid. Während er in den 1920er und 1930er Jahren als Buchhalter bei einer Antwerpener Diamantenfirma sein Geld verdiente, publizierte er weitere Texte und war aktiv in der flämischen Theaterszene als Autor und Organisator.
Die Besetzung Belgiens im Sommer 1940 schien für Brunclair zunächst kein großes Problem darzustellen. Sein Einsatz für die Flämische Bewegung, deren Mitglieder oft mit den deutschen Besatzern kollaborierten und einen unabhängigen Staat Flandern propagierten, stellte ihn in eine ideologische Nähe zu den Besatzern. Dazu passte auch seine Tätigkeit als Redaktionssekretär des Wochenblattes Ulenspigel (Eulenspiegel). Interessanterweise wurde genau diese Zeitschrift von der kommunistischen Partei Belgiens unterstützt und unternahm den heute seltsam anmutenden Versuch, die dem rechten Spektrum zugetanen flämischen Nationalisten für die kommunistische Partei zu gewinnen. Brunclair selbst sah sich als Autor durch seine künstlerische Unabhängigkeit und Neutralität geschützt. Dennoch wurde er im Dezember 1941 unter dem Vorwurf verhaftet, einen anonymen Drohbrief gegen Mitglieder und die politische Ausrichtung der flämischen Oper in Antwerpen geschrieben zu haben. Nach sechsmonatiger Haft kam er jedoch nicht frei. Der Fund von illegalen Flugblättern bei ihm und seine Denunziation wegen der Beleidigung eines extremen flämischen Nationalisten führten zu einem erneuten Gefängnis-Aufenthalt. Im September 1944 wurde V. Brunclair als KZ-Häftling zunächst in das KZ Sachsenhausen gebracht. Von dort führte sein Weg in das KZ Neuengamme und von dort nach Ladelund, wo er am 21. November 1944 verstarb.