Ladelund am 8. Mai 2020 – Ein andere Art des Gedenkens an den Jahrestag des Kriegsendes vor 75 Jahren

Der 8. Mai, der Tag der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht, markiert das Ende des Zweiten Weltkrieges. Für die Menschen in Deutschland und in Europa ist dieses Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs ein Grund zum Feiern. Wir können froh und glücklich sein über 75 Jahre ohne Krieg, über ein Leben in einem demokratischen deutschen Staat, der seit 1990 wiedervereint ist, und über ein näher zusammenrückendes Europa, in dem Grenzen und Feindschaften überwunden wurden und neue Freundschaften entstanden sind.

Durch die Corona-Pandemie ist ein gemeinschaftliches, öffentliches Gedenken nicht möglich.  Dennoch möchten wir auf der Homepage der KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund gemeinsam die Erinnerung an jene wachhalten, die 1944 im KZ Ladelund ermordet wurden. Angehörige der Opfer sowie Menschen, die eng mit der Geschichte und der Arbeit der KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund verbunden sind, haben uns einige Gedanken zu diesem Tag und zu ihren Begegnungen in Ladelund geschickt, die wir auf diesem Weg gerne teilen wollen.

Mitglieder der Familie van der Pol mit Helga Nissen
Teus van der Pol

H.N. (Deutschland):
Ich bin 1945 in Westre geboren und habe schon recht früh von den Eltern gehört, was in etwa in Ladelund passiert war.

Wir Kinder haben im Panzergraben, der vor unserem Haus von den Häftlingen ausgehoben worden war, gespielt.

In meiner Zeit in der Jugendgruppe wurde mit Pastor Richter viel über das Leid der vielen Familien in Putten gesprochen.

1963 waren mein Bruder und ich mit etlichen Jugendlichen aus dem Kreis Südtondern als erste Jugendgruppe in Putten in den betroffenen Familien.

Ich wusste nicht, was mich erwartete. Die Gedanken waren sehr zwiespältig- Angst, Scheu, Unsicherheit, alles war dabei. Doch die freundliche Aufnahme in der Familie v.d. Pol war überwältigend.

Die ganze Familie mit drei kleinen Kindern hat mich in der Hausgemeinschaft aufgenommen, als gehöre ich schon längst dazu. Es sind auch mit der gesamten Familie ernsthafte Gespräche geführt worden.

Ich habe immer das Gefühl gehabt, sie wollten reden. Ich brauchte oft länger, um alles zu begreifen. Es ging schon sehr oft an die Substanz.

Nach diesem ersten Besuch in Putten hat sich eine starke Freundschaft mit den Familien entwickelt, die heute noch, nach dem Ableben von Ben und Teus, mit den Kindern anhält.

Maarten Verheij 1996 in Putten

A.N. (Deutschland):
Seit ca. 1990? haben mein Mann und ich Gäste zum Volkstrauertag aus Putten bei uns aufgenommen.

Wir hatten bis 1998 Maarten Verheij, einen Überlebenden aus dem KZ Ladelund, bei uns als Gast. Er machte es uns nicht schwer, die Geschichte Ladelund`s zu verarbeiten . Er ist im Jahre 1999 verstorben. Die Verbindungen mit Gästen aus Putten zum Volkstrauertag bestehen immer noch und es sind Freundschaften daraus geworden.

Hendrik de Boer

A.K. (Niederlande):
Zum Volkstrauertag 2007 war ich zum ersten Mal in Ladelund.
Der Vater eines Onkels von mir ist im KZ Neuengamme umgekommen, der Großonkel meiner damaligen Frau ist in Ladelund begraben. Sein Name ist Hendrik de Boer.
In der Familie wurde nicht viel über die Razzia gesprochen, aber man fühlte gegen Ende September immer so eine aufgeladene Atmosphäre. Mein Onkel war zwei Wochen alt, als sein Vater deportiert wurde und sprach niemals darüber. Im Jahr 2000 hat er zum ersten Mal etwas darüber gesagt. Es war an einem Sonntagmorgen im Oktober, kurz nach dem Gedenken an die Razzia in Putten, an der Albert Nauman teilnahm, ohne dass dies bekannt gemacht wurde. Naumann hatte als junger Soldat an der Razzia in Putten teilgenommen. Als diese Tatsache nah dem Gedenken in Putten bekannt wurde, erhitzten sich die Gemüter darüber sehr.
Ich hörte meinen Onkel, der niemals über den Krieg sprach, sagen: „Wenn ich gewusst hätte, dass dieser Naumann da war, hätte ich ihn über die Bahnhofstraße zum Bahnhof kriechen lassen. Für mich war das ein Satz, hinter dem sich viel Schmerz und Leid versteckte.
Der Krieg und was in Putten geschah, hat immer mein Interesse geweckt. Die Oma meiner Ex-Frau sprach mit mir schon darüber, wenn wir unter 4-Augen waren.
Ich las alle Bücher über die Razzia, die ich zu fassen bekam.
Im April 2007 wurde ich Stadtrat in Putten und hatte die Gelegenheit, den damaligen Bürgermeister (nach Ladelund) zu begleiten. Die Reise werde ich so schnell nicht vergessen. Wir schliefen im Waldkrug und die Nacht war sehr stürmisch. Ich schlief nur leicht und immer, wenn ich wach wurde, dachte ich daran, wie kalt und elendig sich die Männer in Ladelund 1944 gefühlt haben mussten.
Am Sonntagmorgen fuhren wir zur St. Petri-Kirche. Auf dem Weg sah ich zum ersten Mal die Umgebung von Ladelund und bekam einen Eindruck davon, wie kalt und verlassen sie sich gefühlt haben mussten.
Es waren zwei Überlebende von Ladelund an diesem Tag da. Jannes Priem, gefangen genommen bei der Razzia in Putten, und Melis van der Groep, festgenommen in Amersfoort und zusammen mit der Gruppe aus Putten nach Neuengamme deportiert. Ich hing atemlos n ihren Lippen und hörte zu, was sie erzählten.
Einen tiefen Eindruck hat auf mich die Kranzniederlegung an den Ehrenmälern für deutsche Soldaten in Ladelund und Westre durch Jannes Priem gemacht.
Mittags besuchte ich mit dem Bürgermeister von Putten und seiner Frau das Ehepaar Richter. Ich lernte seine Hingabe und seine feurige Haltung kennen, wenn es um die Versöhnung zwischen Putten und Ladelund ging und um seinen Kampf für Frieden und gegen Unrecht. Was für eine Inspiration, es hat mich bereichert, ihn kennen lernen zu dürfen. Ohne dass ich bereits damals wusste, was für eine tiefe Verbundenheit zwischen uns entstehen sollte und dass ich gut zehn Jahre später einer der drei Puttener Männer sein sollte, die seinen Sarg nach seinem Hinscheiden aus der Kirche zu seiner letzten Ruhestätte tragen durften.
Der warme Empfang durch die Ladelunder, das Gefühl, dass wir immer willkommen waren aufgrund der Geschehnisse von 1944, berührte mich enorm. In meiner Familie sprachen wir von den „Moffen“ und es wurde nicht sehr positiv über Deutschland geredet. In Ladelund begegnete ich warmen, lieben Menschen, die auch ihre Fragen hatten und Gefühle von Scham und Trauer. Mittlerweile kann ich sagen, dass eine Anzahl sehr guter Freunde in Ladelund habe.

Ladelund ist mir sozusagen ein bisschen „unter die Haut gekrochen“ und es ist mir ein Bedürfnis, mich einzusetzen für die besondere Botschaft, die diese beiden Dörfer haben: Aus dem Chaos der Geschichte, aus dem tiefen Elend, ist ein Band entstanden von Hoffnung, Friede, Vergebung und Versöhnung. Die Brücke dafür ist geschlagen aus der Überzeugung, dass sich Menschen miteinander versöhnen aus dem gemeinsamen Glauben heraus, dass wir durch die Taten Jesu Christi Versöhnung finden mit Gott.

2017 habe ich die Stichting “Samen Verder“ mitgegründet. Wir suchen zusammen mit neuen Generationen aus Putten und Ladelund nach neuen Wegen, um die Botschaft von Freiheit und Freundschaft am Leben zu halten und weiterzugeben.

Ladelund ist ein wichtiger Teil meines Lebens geworden.

Uilke Smids

U. und E.D. (Niederlande)
Unser Onkel, Uilke Smids, Kampnr. 49548, ist am24. November 1944 mit 21 Jahren im KZ Ladelund gestorben. Er liegt in Grab 7/N in der Grabanlage für die Ermordeten des KZ Ladelund auf dem Friedhof der St. Petri Kirche.

Vor einigen Jahren haben wir, nach dem Tod unseres Onkels, einem Bruder von Uilke Smids, den Kontakt nach Ladelund von ihm übernommen.

Meine Mutter, die Schwester von Uilke Smids, hat mir bei meiner Geburt den Namen Uilke gegeben.

Wir kommen jedes Jahr zu Besuch nach Ladelund. Jedes Jahr sind wir tief beeindruckt, wie Ladelund mit seiner Vergangenheit umgeht und damit, dass dies nie vergessen werden darf.

Auch das jährliche Treffen mit den Menschen aus Putten im November ist für uns ein besonderes Erlebnis. Wenn wir jetzt bei Euch in Ladelund sind, haben wir das Gefühl „Zuhause“ zu sein. Ihr schafft ein Zusammengehörigkeitsgefühl, dem sich niemand entziehen kann.

Mit großem, liebevollem Einsatz wird die Erinnerung an die Opfer durch Euch am Leben gehalten. Wir möchten Euch gerne wissen lassen, dass wir dafür großen Respekt empfinden.

R.D. (Italien)
Es stimmt, dass man traurig wird, wenn man an den Krieg denkt und an das was unseren Nimisern passiert ist. Dennoch füllt sich das Herz mit Freude, wenn man an euch, die wir euch glücklicherweise haben kennen lernen dürfen, denkt und an die deutsche Erde, die euch hat wachsen lassen, und Deutschland, welches euch heute ermöglicht, viel Positives in die Welt zu tragen.

Melis van den Brink

W. und J. v/d B. (Niederlande):

Wir sind zum ersten Mal vor 29 Jahren in Ladelund gewesen. Als ich 20 und mein Mann 21 Jahre alt war. Wir sind zu dem Grab gegangen, wo sein Onkel Melis liegt, der umgekommen ist.
Beim ersten Mal war es seltsam, wütend, traurig. So weit weg von Zuhause als ältester Sohn der Familie.
Die Gedenkstätte gab es damals noch nicht und wir sind sehr froh, dass es sie nun besteht.

Mein Mann und ich kommen immer aus eigenem Antrieb und unabhängig nach Ladelund. Jedes Jahr mindestens einmal. Manchmal öfter.

Was wir merken, ist die Wärme der Einwohner von Ladelund, das war zu Beginn noch nicht so, eher ein bisschen distanziert. Aber im Lauf der Jahre fühlten wir ein sehr herzliches Willkommen. Man merkt, die Menschen finden schrecklich, was passiert ist und schließen dich ins Herz.

Wir haben besondere Begegnungen gehabt, in Ladelund und der Gedenkstätte, aber auch in Putten.

Der Gedanke, dass Jemand innerhalb von nur acht Wochen durch schwere Arbeit stirbt, macht einen sehr traurig. Er war erst 22 Jahre alt. Ein ganzes Leben, einfach so weg. Keine Zukunft mehr.
Putten ermöglicht Versöhnung.